Was eine Privat-Sammlung russischer Gegenwartskunst im KHM verloren hat.
Ziemlich alleine gelassen fühlt man sich im Bassano-Saal des Kunsthistorischen Museums. Einen Stock tiefer hängen Rubens, Tizian und KHM-General Wilfried Seipels Ankäufe über die Jahrzehnte. Und hier oben dann plötzlich russische Kunst, von 1975 bis heute. Gegen die prinzipiell nichts einzuwenden ist, aber sie kommt an diesem Orte doch etwas unerwartet — und unvermittelt, im wahrsten Wortsinn. Denn verschlägt es nicht zufällig einen auf russische Moderne spezialisierten Kenner in diese Höhen, bleibt dem Besucher Intention und Auswahl dieser Ausstellung der privaten Moskauer “Stella Art Foundation” weitgehend unklar.
Keine näheren Erklärungen helfen einem vor den 40 Bildern und Objekten der im Westen teils weniger bekannten Künstler weiter. Noch dazu irritiert die für das Museum unwürdig schäbige Präsentation — die Wände tragen noch Spuren einer vorhergehenden Ausstellung, abgeschabte Beschriftungen schimmern durch, Staubflecken prangen ungeniert am einst noblen Rotbraun.
Wie kam diese Situation zustande? Die Moskauer Kunstsammlerin und Foundation-Gründerin Stella Kesaeva wollte die Europa-Tournee ihrer Ausstellung in Wien starten und sich dafür unbedingt ins erste Haus der Stadt einmieten. Dafür, so Seipel, wurde ordentlich Miete bezahlt; Geld, das dringend für die Wiedereröffnung der hauseigenen Kunstkammer gebraucht wird. Ein knallhartes Geschäft also, gegen Renommee, das zwischen privaten Organisationen und staatlichen Museen des Öfteren betrieben, aber selten transparent gemacht wird. Genau das wäre von einem staatlichen Museum, das seine Berechtigung als Kompetenzzentrum ableitet, aber zu erwarten. Die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, geleitet von der Österreicherin Barbara Steiner, hat aus dieser Situation ein Forschungsprojekt abgeleitet: Unter dem Titel “Carte Blanche” bespielen heuer Privatpersonen und Unternehmen das Ausstellungshaus, im Gegenzug dazu übernehmen sie die Kosten. In einem Begleitprogramm werden diese Praxis sowie die einzelnen privaten Intentionen diskutiert.
Warum Zweck nicht transparent machen?
Warum also nicht auch den Bassano-Saal zugunsten der Kunstkammer vermieten — aber offen und in der Ausführung professionell, nicht durch fragwürdige inhaltliche Rechtfertigungen verschleiert? Denn diese Ausstellung wäre in einem Museum moderner Kunst sicher besser aufgehoben, im KHM hätte man sie besser einbinden, konzeptuell schärfen müssen, so aber wirkt sie wie ein Alien.
Wofür die hier gezeigte Kunst selbst natürlich am wenigsten kann — und die wirft schlaglichtartige Einblicke in die russische “Sots Art”, beeinflusst von der Pop-Art, und den Moskauer Konzeptualismus. Drei Künstler fügen sich trotz aller Kritik subtil ins KHM-Ambiente ein: Ilja Kabakow und sein Gemäldekonstrukt “Frau im Pelzmantel”, geschaffen vom fiktiven, zwischen den Stilen zerrissenen Maler Charles Rosenthal 1929; Komar und Melamid mit ihrer ironischen Verarbeitung des Sozialistischen Realismus — sie zeigen Marx und Engels in historisch-höfischer Repräsentationspose, zu ihren Füßen die Früchte ihrer Politik als Vanitas-Stillleben. Und documenta-12-Teilnehmer Anatoli Osmolowski, dessen ästhetisierte Bronzegüsse von Militärpanzern hier wie sprengkräftige Kunstkammerobjekte erscheinen.
Bis 16.11., Di—So 10—18Uhr, Do bis 21Uhr.
AUF EINEN BLICK
Die Stella Art Foundation wurde 2004 von der Moskauer Kunstsammlerin Stella Kesaeva gegründet. Im KHM startete sie jetzt die Europatournee einer Auswahl russischer Kunst von 1975 bis heute. Höhepunkt: Eine Präsentation in Venedig während der Biennale 2009. 2010 will die Foundation in der Melnikov-Garage in Moskau, wo Roman Abramovichs Freundin Dasha Zhukova ihre Galerie betreibt, ein Museum einrichten.